Verständnis und
Unterstützung der Aktivitäten von autistischen Patienten
– Mit Bezug auf die Grundlagen der Kognitions- und
Neurowissenschaften
Fuyuko TAKASHIMA, Takeshi MATSUISHI
Abteilung für Heilpödagogik, Fakultät für Erziehung und Humanwissenschaften, Yokohama National University
Gegenstand dieser Forschungsstudie sind
autistische Patienten (einschließlich autistischer Kinder). Im Vergleich mit
Kindern, die wir bis jetzt in Schulumgebungen kennen gelernt haben und die an
anderen Störungen leiden, zeichnen sich autistische Kinder besonders durch die
geheimnisvollen Welten aus, in denen sie leben und die – besonders mit Blick auf
Sprache und Verhalten – sehr schwer zu verstehen sind.
Auch wenn oft einfach
der Begriff „Autismus” verwendet wird, ist die Bandbreite der intellektuellen
Fähigkeiten von autistischen Patienten doch sehr groß, so dass sich in letzter
Zeit der Begriff „autistisches Spektrum“ mehr und mehr durchgesetzt hat. Auch
die mentalen und Verhaltenszustände variieren, womit eine klare Definition von
Autismus sehr schwer ist. Sogar das Ministerium für Erziehung, Kultur, Sport,
Wissenschaft und Technologie hat im Abschlussbericht „Position der zukünftigen,
finanziell besonders unterstützten Heilpädagogik” und an anderen Stellen
Patienten mit Autismus ohne mentale Retardierung und Asperger-Syndrom als
Zielgruppen für die Heilpädagogik gewählt. Trotz der Abwesenheit mentaler
Retardierung gelingt es jedoch nur wenigen Patienten, unabhängig zu werden und
auf dem Arbeitsmarkt Erfolg zu haben. Zurzeit stellt die Unterstützung, die zur
Entwicklung von Unabhängigkeit führen soll, ein wichtiges Element dar, das nicht
außer Acht gelassen werden sollte. Psychische und Verhaltenscharakteristika
autistischer Patienten, einschließlich Autisten ohne mentale Retardierung,
werden erklärt und Methoden diskutiert, wie diese Patienten in Zukunft weiter
unterstützt werden können. Als vor Ort tätige Lehrer autistischer Patienten
fassen wir im ersten Kapitel die Verhaltenscharakteristika dieser Patienten vom
Standpunkt der Symptomatologie aus zusammen.
Seit 1980 haben viele
autistische Patienten, angefangen mit Temple Grandin, Autobiografien
veröffentlicht, in denen sie von ihren Hintergründen und ihrem inneren Leben
berichten. Im zweiten Kapitel haben wir Material zusammengetragen, das im
Zusammenhang mit unserem Autismus-Erklärungsmodell steht und auf diese
Biografien verweist. Im dritten Kapitel fassen wir den neuesten Kenntnisstand
der Ursachen von Autismus zusammen, zu denen in neurowissenschaftlicher
Betrachtungsweise auch genetische Faktoren gehören. Darüber hinaus beschreiben
wir im vierten Kapitel die Art und Weise wie autistische Patienten auf der
Grundlage des aktuellen Kenntnisstandes unterstützt werden sollten. Im Folgenden
wird jedes Kapitel kurz beschrieben.
1. Kapitel: Das Verhalten
autistischer Patienten verstehen
Es ist allgemein bekannt, dass es sich
bei Autismus um eine Entwicklungsstörung handelt, die durch eine Gehirnstörung
verursacht wird. Trotzdem existiert zurzeit kein einheitliches, allgemeines
Konzept oder einer Definition von Entwicklungsstörungen. In der vorliegenden
Studie wird daher von „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ ausgegangen und die
Klassifikation der Weltgesundheitsbehörde (WHO) zu Grunde gelegt: ICD 10,
Kapitel V (psychische und Verhaltensstörungen). Gemäß dieser
Klassifikation wird frühkindlicher Autismus durch das Vorkommen von drei
Bedingungen charakterisiert: (1) qualitative Störungen der sozialen Interaktion,
(2) Störungen der Kommunikation und Sprache und (3) Störungen der Imagination
und repetitive, stereotype Verhaltensmuster, die vor dem Alter von drei Jahren
zum ersten Mal auftreten. In diesem Kapitel werden die beobachteten
Verhaltenscharakteristika den verschiedenen Aspekten dieser drei Störungen
zugeordnet. Punkt (1) wird im besonderen mit Hilfe der vier Klassen nach Lorna
Wing erklärt. Für die Diskussion von Punkt (2) wird die Kommunikation in vier
Gebiete unterteilt: die prälinguistische, die nonverbale und die gesprochene
Sprache bzw. begleitende Aspekte. Unter Punkt (3) werden die Hartnäckigkeit von
repetitiven Bewegungsabläufen, stereotypes Verhalten und darüber hinaus Inseln
von besonderer Begabung kurz diskutiert.
2. Kapitel: Die Denkweise von
autistischen Patienten verstehen
Die „Theory of mind” (TOM) beschreibt
die Fähigkeit einer Person, die Absichten und Überzeugungen anderer zu
verstehen. Eine Reihe von Forschungsstudien haben gezeigt, dass autistische
Patienten an einer Störung dieser Fähigkeit leiden. In diesem Kapitel werden
repräsentative Tests für die „Theory of mind”, wie die Sally-Ann- und die
Smarties-Aufgabe, diskutiert und geschlussfolgert, dass der Erwerb einer „Theory
of heart”-Fähigkeiten durch einen „Hindernis- und Täuschungstest” nicht allein
auf der Ebene der linguistischen Fähigkeiten erfolgt. Darüber hinaus sind bei
autistischen Patienten ohne mentale Retardierung bzw. mit Asperger-Syndrom, die
die Tests für die „Theory of mind” bestanden, sekundäre Tests für die „Theory of
heart” eingesetzt worden. Die Erkenntnisse wurden auf der Grundlage von
Versuchen mit Kommunikationsaufgaben wie der „Eisladenaufgabe” gewonnen. Das
bedeutet also, ein Bestehen der Tests für die „Theory of mind” ist nicht
automatisch der Erwerb der „Theory of heart”, und es besteht die Möglichkeit,
dass diese Patienten eine Strategie verwenden, die sich von der anderer,
gesunder Kinder unterscheidet. Das Kapitel schließt mit dem Hinweis auf wichtige
Forschungsaufgaben für die Zukunft.
In den folgenden Abschnitten werden
Auszüge aus den Schriften von Temple Grandin vorgestellt, die einen Bezug zum
emotionalen Erfahren haben. Anschließend werden die großen Schwierigkeiten
diskutiert, die beim Beheben von Störungen der „Theory of heart”-Fähigkeit bei
Patienten – selbst bei denen ohne Retardierung – auftreten.
3.
Kapitel: Neurowissenschaftliche Aspekte von Autismus
Derzeit wird
angenommen, dass eine biologische Störung des Gehirns die Ursache von Autismus
darstellt. Da über Ursachen und Behandlung keine abschließende Meinung
existiert, werden in diesem Kapitel die neuesten Ergebnisse über die Ursachen
für Autismus zusammengefasst und die Beziehung zwischen dem Gehirn und Autismus
aus der Sichtweise der Neurowissenschaften herausgearbeitet. Zu den erwarteten
biologischen Ursachen gehören genetische Faktoren, Virusinfektionen,
Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt etc., und es ist behauptet
wurden, dass derartige Faktoren zu Minimalschäden des Gehirns führen und so
Autismus verursachen könnten.
Kürzlich haben eine Reihe britischer
Arbeitsgruppen Studien über die genetischen Faktoren von Autismus
veröffentlicht. Sogar bei eineiigen Zwillingen, die genetisch identisch sind,
kommt Autismus nicht immer zu 100 % bei beiden Zwillingen vor. Sind sie jedoch
beide autistisch, so können bekanntlich große Variationen auf der Ebene der
Autismussymptome beobachtet werden. Zur gleichen Zeit ist die große Mehrzahl der
Geschwister von autistischen Kindern gesund und normal. Daher können die
Erkenntnisse der genetischen Faktoren dahingehend zusammengefasst werden, dass
„unter Umständen eine Reihe genetischer Probleme Autismus verursachen kann, dass
aber die Ursachen von Autismus allgemein nicht allein mit diesen genetischen
Problemen erklärt werden können.” Die gleiche Schlussfolgerung kann für
Virusinfektionen und Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt gezogen
werden. Diese Faktoren können durchaus zum Teil zu Autismus beitragen, können
aber nicht die alleinige Ursache von Autismus sein.
Die genannten
biologischen Faktoren haben alle gemeinsam, dass sie zu Schäden in bestimmten
Hirnregionen führen. Daher kann angenommen werden, dass Entwicklungsstörungen,
einschließlich Autismus und mentaler Störungen, von diesen Schäden verursacht
werden. Dieser Ansatz bringt alle Erklärungstheorien zusammen. Im Gebiet der
Neurowissenschaften eingesetzte bildgebende Diagnosetechniken, im Besonderen der
neuesten Scanning-Technologien wie PET und MRI, haben uns weitere Einsichten
verschafft. Bei der Ermittlung der betroffenen Gehirnregionen wurden
verschiedene Theorien entwickelt: Es wurden Schäden des limbischen Systems und
des Kleinhirns, Schäden der Frontal- und Schläfenlappen und Schäden der Frontal-
und Schläfenlappen in Kombination mit Schäden der Sprachregionen verantwortlich
gemacht. Darüber hinaus sind Fortschritte bei der Erforschung der Beziehungen zu
Neurotransmittern gemacht worden. Die Forschung in diesem Gebiet hat jedoch
gerade erst begonnen, und wir müssen die Ergebnisse zukünftiger
Forschungsprojekte abwarten.
4. Kapitel: Überlegungen und
Empfehlungen zur Unterstützung autistischer Patienten
In diesem Kapitel
werden die Änderungen bei der Behandlung und schulischen Erziehung autistischer
Patienten verschiedener Altersgruppen in Japan diskutiert und einige
Überlegungen vorgestellt. In diesem Zusammenhang wird betont, dass bei der
schulischen Erziehung autistischer Kinder und Jugendlicher mit Blick auf deren
zukünftige Lebensweise schon in früher Adoleszenz Selbstständigkeit unterstützt
und gefördert werden sollte. Bei erwachsenen autistischen Patienten steht die
Verbesserung der Lebensqualität (QOL) im Mittelpunkt. In dem Zusammenhang wird
ein Ansatz nach dem Prinzip „von oben nach unten” diskutiert, der es Menschen
mit Behinderungen erlaubt, so wie sie sind selbstständig zu leben. Mit der
Etablierung des Normalisierungskonzeptes wird die Integration verstärkt in
Schulumgebungen implementiert. Bei der Integration sind jedoch vor allem die
Aspekte der Amalgamierung, Versöhnung, Symbiose und Koexistenz betont worden.
Kritiker haben darauf hingewiesen, dass bei der Entwicklung in diese Richtung
unter Umständen die Bedürfnisse des Einzelnen nicht ausreichend beachtet werden.
Auf dieser Grundlage ist die Idee der Integration weiterentwickelt worden.
Die Integrationskonzepte stehen vor dem Hintergrund einer Betonung der
Notwendigkeit eines so genannten Ansatzes zur Anpassung an die Umgebung in
„Arten der Unterstützung von autistischen Patienten”. Dabei müssen
Unterstützungskonzepte in vielen Gebieten zusammenkommen, z. B. im
medizinischen, schulischen, sozialen und beruflichen Gebieten, um Unterstützung
beim Leben als Schüler/Student, in der Freizeit, als Mitglied der lokalen
Gemeinde und als unabhängiger Arbeitnehmer zu leisten. Es wird die Überzeugung
vorgebracht, dass die Zweige des Hilfesystems organisch durch diese Probleme
verbunden werden.
Sollen autistische Patienten ein ganz normales Leben in
der lokalen Gemeinde führen, muss ein umfassendes Unterstützungssystem
geschaffen werden, in dem direkte Unterstützung des Patienten und Unterstützung
durch die Umgebung des Patienten (die Menschen um ihn herum) miteinander
kombiniert werden.
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