Erfahrungen in Yokohama als Master Course-Student des Öffentlichen Gesundheitswesens

Anthony DISTEFANO*, Takeshi MATSUISHI**

*University of California, Los Angeles (UCLA), Fachbereich Öffentliches Gesundheitswesen

**Yokohama National University, Fakultärt für Erziehung und Humanwissenschaften, Abteilung für Heilpädagogik


Als Student eines Master-Programms der University of California, Los Angeles (UCLA), Fachbereich Öffentliches Gesundheitswesen, muss ich 200 Stunden Feldforschung betreiben. Anstatt, wie die meisten meiner Kommilitonen, in Kalifornien zu bleiben, sah ich dies als Chance an, Näheres über die Organisation und Aktivitäten des japanischen Gesundheitswesens zu erfahren, und bewarb mich deshalb um einen Praktikumsplatz in Japan. Glücklicherweise stieß ich auf die Homepage von Dr. Takeshi Matsuishis Labor in der Abteilung für Heilpädagogik der Yokohama National University. Als meine Bewerbung angenommen und ich zu einem Stipendiatspraktikum unter Dr. Matsuishi eingeladen wurde, war ich hocherfreut. Dies ist eine kurze Zusammenfassung meiner Erlebnisse und Erfahrungen während meines fünfwöchigen Aufenthalts im Juli/August 2000.
Meine erste Woche in Japan verbrachte ich vorwiegend damit, die vier Einrichtungen aufzusuchen, in denen ich während der kommenden Wochen arbeiten würde. Man fürhrte mich herum und stellte mir die Menschen vor, die für meine Ausbildung verantwortlich sein würden.
Kamakura, vom 12. bis zum 14. Jahrhundert Sitz der Militärregierung, ist eine ziemlich kleine Stadt in der Präfektur Kanagawa, ca. 30 Zugminuten von Yokohama entfernt. Dort verbrachte ich die zweite Woche meines Praktikums bei einem örtlichen Ärztezentrum. Diese Einrichtungen, eigentlich eher Zentren für Gesundheitsförderung und Wohlfahrt, sind die erste Anlaufstelle für Patienten. Sie sind für ein breites Spektrum an Belangen des öffentlichen Gesundheitswesens verantwortlich. Das Zentrum in Kamakura ist in vier Abteilungen unterteilt:
1. Gesundheitsförderung und Wohlfahrt- Schwangerschaftsberatung, Ernährung, Zahnpflege, Vorsorge vor Zivilisationskrankheiten (z. B. kardiovaskulären Störungen), Altenfürsorge, soziale Wohlfahrt, Pflege und Betreuung älterer Mitbürger als Kassenleistung.
2. Gesundheitsförderung und Vorsorge- Vorsorge vor Infektionskrankheiten und/oder schwer diagnostizier- und behandelbaren Krankheiten, Förderung der mentalen Gesundheit, Gesundheitsfürsorge für Atombombenopfer, Betreuung von Patienten mit seniler Demenz, HIV/AIDS-Vorsorge, allgemeinärztliche Konsultationen sowie psychologische Betreuung.
3. Umwelthygiene- Beratungen für die Einhaltung japanischer Umwelthygienevorschriften, ähnliche Beratungen für Medikamente, Wasserreinheit und Abwasserentsorgung, Testen von Haushaltsartikeln und Beratung für Sicherheit im Haushalt.
4. Lebensmittelhygiene- Beratungen für die Einhaltung japanischer Lebensmittelhygienevorschriften.
In größeren Städten wie Yokohama gibt es bis zu 18 solcher Ärztezentren. Das Zentrum in Kamakura ist hingegen für ein größeres, weniger dicht besiedeltes Gebiet zuständig, zu dem auch die Städte Kamakura, Zushi, Hayama, Yokusaka und Miura zählen. Menschen aus all diesen Orten besuchen das Zentrum in Kamakura für Untersuchungen und Beratungen. Die Mitarbeiter teilten mir mit, dass Japans größtes Gesundheitsproblem derzeit die schnell voranschreitende Überalterung der Gesellschaft und der damit verbundene Anstieg des Bedarfs an medizinischen Einrichtungen sowie den daraus resultierenden Kosten sei.
Die dritte Woche verbrachte ich im Healthcare Management Center (Zweigstelle Yokohama) für Nippon Telephone and Telegraph (NTT), Japans größte Telekommunikationsgesellschaft. Mein Praktikum bei NTT verschaffte mir einen Einblick in ein nur in Japan bekanntes Element des Gesundheitswesens: unternehmenseigene Gesundheitssysteme. Das Zentrum in Yokohama ist für ganz Ostjapan sowie die Insel Hokkaido zuständig. Dort arbeiten 3 Ärzte und 13 Krankenschwestern. Zentren diese Art sind typisch für größere Unternehmen in Japan. Es betreut ausschließlich die Mitarbeiter von NTT und erfüllt mehrere Aufgaben, darunter regelmäßige Untersuchungen, Gesundheitsberatung, Informationsveranstaltungen für Zweigstellen zu Arbeits-/Industriehygiene sowie Patientenbetreuung. Der Betrieb einer Ambulanz wurde wieder eingestellt.
In Japan ist es üblich, dass Mitarbeiter eines Unternehmens einmal im Jahr untersucht werden. Die Ergebnisse der Labortests, die in Kliniken und Krankenhäusern in der Nähe des Unternehmens durchgeführt werden, werden zur Analyse an das entsprechende Healthcare Management Center geschickt. Wenn ein Mitarbeiter und/oder sein Vorgesetzter das Problem für gravierend halten, kann das Healthcare Management Center kontaktiert werden. Bei einer Untersuchung, der ich beiwohnte, wurde bei einem Patienten Schizophrenie festgestellt. Man sagte mir jedoch, dass NTT den Mann weiter beschäftigen werde. Das Unternehmen hält weiterhin an der inzwischen immer seltener praktizierten japanischen Tradition fest, Mitarbeiter auf Lebenszeit einzustellen. Ein solcher Fall wäre in den Vereinigten Staaten sicherlich undenkbar.
Ich begleitete den Oberarzt des Zentrums zu einer Zweigstelle von NTT-ME, wo er für bestimmte Mitarbeiter Gesundheitsberatungen durchführte. Der Schwerpunkt lag dabei auf medizinischer Vorsorge, darunter Ernährungs- und Bewegungstipps. Darüber hinaus konnte ich an einem Treffen des unternehmensinternen Komitees für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz teilnehmen, das für die Einhaltung der japanischen Gesetze zur Sicherheit am Arbeitsplatz zuständig ist. Des Weiteren finanziert es Kampagnen für Sicherheit im Straßenverkehr. Durch all diese Erfahrungen erlangte ich einen Eindruck davon, wie große Unternehmen in Japan sowohl beim Schaffen und Erhalten einer sicheren Arbeitsumgebung als auch bei der Gesundheitsfürsorge ihrer Mitarbeiter eine aktive Rolle spielen.
In der vierten Woche lag der Schwerpunkt auf mentaler Gesundheit. Ich verbrachte sie im Comprehensive Healthcare and Medical Treatment Center in Yokohama. Nichts im Namen dieses Zentrums deutet darauf hin, dass es sich vorwiegend mit Störungen der mentalen Gesundheit beschäftigt. Zu den Einrichtungen des Zentrums gehören: Tagesklinik für Patienten mit seniler Demenz, Betreuung rund um die Uhr für Menschen mit mentalen Störungen sowie technische Ausstattung für von Ärzten der Region verschriebene Tests. Mitarbeiter des Zentrums erklärten mir das System von Japans neuer Altenpflegeversicherung. Dieser neue Versicherungsplan, der am 4. Januar 2000 in Kraft trat, wurde angesichts des steigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung entwickelt. In Yokohama machen Menschen über 65 Jahre inzwischen 13,5 % der Bevölkerung aus. Man geht davon aus, dass der Anteil bis zum Jahr 2010 auf 17,5 % steigen wird. Je mehr alte Menschen es gibt, umso mehr Fälle von seniler Demenz (beispielsweise Alzheimer) treten auf.
Ich durfte an zwei Tagen Tagesprogramme für Patienten mit seniler Demenz miterleben und war von der Organisation und Herzlichkeit der Betreuung beeindruckt. Das Verhältnis Mitarbeiter - Patienten betrug 1:4, und den Respekt, mit dem Erstere Letztere behandelten, sucht man in den Vereinigten Staaten vergebens. Zwei Tage lang informierte ich mich über das Tagesklinik- und Nachtpflegeprogramm für Menschen mit mentalen Störungen. Die häufigste Diagnose der Patienten des Zentrums war Schizophrenie. Voll Freude stellte ich fest, dass einige von ihnen Englisch sprachen und mich in ihre Aktivitäten (Sport, künstlerische und handwerkliche Aktivitäten und grundlegende Drucktechniken) einbezogen.
Neben dem Comprehensive Healthcare and Medical Treatment Center befindet sich das Yokohama Rehabilitation Center, wo ich die letzte Woche meines Praktikums verbrachte. Das 1987 gegründete Zentrum ist in 6 Abteilungen unterteilt:
1. Informations- und Beratungsdienst - Integration medizinischer und sozialer Dienste, behandelt neue Patienten und entscheidet über deren weitere Behandlung innerhalb und außerhalb des Zentrums.
2. Medizinische Abteilung - Medizinische Behandlung auf der medizinischen Station, medizinische Einstufung und Überweisung zu anderen Abteilungen des Zentrums, Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie und Hörtherapie, Psychotherapie.
3. Pädiatrie - Medizinische Dienste für physisch und psychisch behinderte Kinder, therapeutische Einrichtungen, Psychotherapie und Tagespflege.
4. Abteilung für soziale und berufliche Rehabilitation - Schulung sozialer Fähigkeiten, berufsvorbereitende Schulungen, Berufsberatung.
5. Abteilung für mobilen Rehabilitationsservice - Mobiler Rehabilitationsservice für ans Haus gebundene Menschen und Körperbehinderte.
6. Abteilung für Orthopädiemechanik - Prothesen und anderer Orthopädiebedarf, technische Hilfen und Hausumbaudienste.
Das Rehabilitation Center arbeitet eng mit örtlichen Krankenhäusern, Kliniken, Kinderkliniken und Ärztezentren zusammen, die Patienten, welche entsprechender Behandlung bedürfen, an das Rehabilitation Center überweisen. Über die Hälfte der Patienten ist unter 18 Jahre alt. Einzigartig fand ich den mobilen Rehabilitationsservice des Zentrums. Bei Hausumbauten, die behinderten Menschen ein unabhängigeres Leben ermöglichen, werden beachtliche 1.500.000 ¥ (ca. 15.000 US$) vom Yokohama City Fund getragen. Für den Einbau besonderer Geräte stehen weitere Gelder zur Verfügung.
Sowohl Patienten des Comprehensive Healthcare and Treatment Center als auch des Rehabilitation Center machen Gebrauch von den beeindruckenden Einrichtungen des Behindertensportzentrums Yokohama Rapport Sports and Cultural Center for the Disabled, das mit beiden Gebäuden verbunden ist. Zum Sportzentrum gehören eine große Sporthalle, ein Geräteraum, eine Bowlingbahn und ein Schwimmbecken. Alle Räumlichkeiten werden neben organisierten Gruppenaktivitäten für Patienten mit unterschiedlichen Leiden auch für Physio- und Ergotherapie genutzt.
Meine Eindrücke des öffentlichen Gesundheitswesens in Japan beschränken sich auf meine Erfahrungen in der Präfektur Kanagawa, die, soweit ich weiß, im Vergleich zu anderen Regionen Japans sehr fortschrittliche Ansätze hat (insbesondere Yokohama). Sollte dies der Fall sein, sind meine Erfahrungen wohl nicht repräsentativ für das gesamte japanische System. Wie auch immer - Kanagawa verfügt anscheinend über eine gut etablierte und sich stets weiterentwickelnde Zusammenarbeit unter verschiedenen Bereichen des Gesundheitssektors, die so zur Erhaltung der öffentlichen Gesundheit beitragen.
Mein Dank gilt Dr. Matsuishi für seine Einladung und seine Betreuung während meines Praktikums sowie den Dutzenden von Mitarbeitern, die sich die Zeit genommen haben, einem ausländischen Studenten die Arbeitsweise ihrer Einrichtungen zu zeigen und zu erläutern. (Yokohama, Japan 11. August 2000)
(ursprunglich erschienen im Journal of Disability and Medico-Pedagogy Vol.6.2002:p14-17)

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